Provokative Mitarbeitermotivation

Dr. E. Noni Höfner
Der Provokative Stil -eine ausgefallene Methode der Mitarbeitermotivation

Was ist Motivation? Motivation ergibt sich aus einem Motiv. Ein Motiv ist ein Anreiz, Dinge zu tun, die man ohne diesen Anreiz nicht tun würde. Ein Galeerensklave tut seine Arbeit, weil der Aufseher mit einer großen Peitsche hinter ihm steht und ihn nicht aus den Augen lässt, und es interessiert niemanden, ob er Lust hat zum Rudern oder nicht. Des Sklaven Motiv ist die Angst vor der Peitsche.

Es gab durchaus Zeiten, als abhängige Arbeit der Situation eines Galee-rensklaven nicht unähnlich war. Arbeit wurde “von oben” verteilt, es gab kärglichen Lohn und es interessierte niemanden, ob der Arbeitende Lust und Freude bei seiner Tätigkeit empfand. Das Motiv des Arbeitenden lag einzig in der Vermeidung von Schmerzen (wie Züchtigung oder Kündigung), die ihm bei Nichterfüllen seiner Aufgaben zugefügt werden konnten.

Die Zeit der Galeerensklaven neigt sich ihrem Ende zu. Die moderne Wirtschaft kommt ohne hochmotivierte Menschen nicht mehr aus. Jede Führungskraft weiß, dass nur der motivierte Mitarbeiter ein guter Mitarbeiter ist, gesetzt den Fall, das Motiv ist nicht mehr Angst, sondern Interesse an der Sache. Dies entspringt keineswegs einer besonders milden, sozialen Einstellung, sondern schlichtem Profitdenken, weil sich herumgesprochen hat, dass motivierte Mitarbeiter auch produktiver sind. Ein motivierter Mitarbeiter macht meine Sache zu seiner Sache und setzt sich dafür ein, auch wenn ich ihm den Rücken drehe. Er muss nicht, wie der Galeerenskalve, ständig mit der Peitsche beaufsichtigt werden. Er arbeitet nicht nur für mich, wenn er kontrolliert wird, sondern erbringt auch freiwillig Höchstleistungen, wenn keiner zuschaut. Aber wie bringe ich ihn dazu, so hochmotiviert zu sein?

Motivation kann von innen oder außen kommen. Wer etwas Sozialwissenschaftliches studiert hat, kennt diese Unterscheidung, die mit unterschiedlichen Aufklebern daherkommt (Motivatoren und Hygienefaktoren, intrinsische und extrinsische Motivation, primäre und sekundäre Motivation usw.). Um es auf einen kurzen Nenner zu bringen, kann man sagen: Äußere Motivation nährt sich aus der Hoffnung auf Belohnung oder der Vermeidung von Bestrafung, wobei die gestellte Aufgabe eine untergeordnete Rolle spielt. Es ist im Prinzip die Motivation des Galeerensklaven, auch wenn die Bestrafung nicht mehr im Auspeitschen besteht und es sich bei der in Aussicht gestellten Belohnung um eine Gehaltserhöhung oder eine Prämie von zehntausend Euro handeln kann. Innere Motivation wächst aus dem Interesse an der Sache, im Idealfall ohne jegliches Schielen auf eine Belohnung. Der Prototyp eines innerlich motivierten Menschen ist sowohl ein Wissenschaftler wie Konrad Lorenz, der, um herauszufinden, wie das Band zwischen Graugansmutter und Grauganskind geknüpft wird, monatelang vor seinen Gänsen her im kalten See schwimmt, als auch ein Mount Everest-Bezwinger, den Erfrierungen und Entbehrungen nicht von seinem Vorhaben abbringen können.

Innere Motivation ist dauerhafter und effektiver ist als äußere Motivation, aber leider ist sie auch schwerer herzustellen. Dennoch war die Zeit dafür noch nie so reif wie heute, wo es wichtiger als je wird, die Fähigkeiten der Menschen umfassend zu nutzen, um in einem sich stets und immer schneller wandelnden Umfeld bestehen zu können. Heute sind andere Tugenden als klaglose Unterordnung und starre Disziplin gefragt, denn Obrigkeitsgehorsam, verbunden mit pflichtbewusstem Abarbeiten von vorgegebenen Aufgaben möglichst ohne eigenes Risiko, kann die verzwickten, komplexen Probleme der künftigen Arbeitswelt nicht lösen. Die Frage ist also: Wie bringe ich andere dazu, ihre Fähigkeiten im Dienste der gemeinsamen Sache umfassend zu nutzen und Eigeninitiative, Kreativität und Selbstverantwortung zu entwickeln?

Im allgemeinen reden die Führungskräfte, die die Galeerenpeitsche aus der Hand gelegt haben, ihren Mitarbeitern gut zu und betonen überschwänglich, für wie fähig sie sie halten oder sie versuchen, ihnen eine Aufgabe schmackhaft zu machen, indem sie deren Vorteile herausstreichen. Das kann funktionieren. Wenn es nicht funktioniert, sagt die Führungskraft resigniert: “Ich habe alles versucht, aber nichts hat geholfen!”

Wir gehen davon aus, dass die meisten Menschen dazu tendieren, sich vor allzuviel Risiken, die jede Neuerungen nun einmal mit sich bringt, instinktiv zu schützen, indem sie ein Übermaß an unbekannten und damit “gefährlichen” Erfahrungen meiden. Diese Angst vor dem Neuen, gepaart mit einer natürlichen Trägheit, die jeder kennt, der schon einmal gute Vorsätze gebrochen hat (“ab sofort mache ich jeden Morgen eine halbe Stunde Gymnastik”), nährt die jedem Menschen innewohnenden sogenannten Wachstumsbremsen Feigheit und Faulheit. Je geringer die Bereitschaft zu Veränderungen und persönlichem Einsatz ist, um so ausgeprägter werden Denk-und Handlungsblockaden (“das geht nicht”, “das kann ich nicht”, das haben wir noch nie/schon immer so gemacht” usw.), die dazu führen, dass man sich weit unter Wert “verkauft”. Eigeninitiative, Kreativität und Selbstverantwortung bleiben auf der Strecke. Je weniger sich jemand einsetzt, um so weniger Spaß hat er bei der Arbeit, um so demotivierter wird er, um so weniger setzt er sich ein, um so weniger Spaß hat er….. Ein demotivierter Mitarbeiter hat seine Selbstverantwortung weitgehend abgegeben. Er ist in der “inneren Kündigung” und macht bestenfalls Dienst nach Vorschrift, auch wenn ihm das auf Dauer selbst schadet, nach dem Motto. “Es geschieht meiner Mutter ganz recht, wenn es mich an den Fingern friert! Warum kauft sie mir keine Handschuhe!”

Hier setzt der Provokative Stil ein.

Die humorvolle Provokation oder der sogenannte Provokative Stil (ProSt) ist eine Kommunikationsform, die sich – wie viele erfolgreiche Kommunikationsformen – aus einem psychotherapeutischen Verfahren, der Provokativen Therapie des Amerikanischen Psychotherapeuten Frank Farrelly, entwickelt hat. Sie bewährt sich seit Jahrzehnten bei seelischen Störungen jeglichen Schwierigkeitsgrades.

Ich selber lernte Farrelly 1985 bei einem seiner Workshops kennen, zu einem Zeitpunkt, als mich die herkömmlichen Formen der Therapie, in denen ich mich hatte ausbilden lassen, nicht mehr befriedigten. Psychotherapie, wie ich sie gelernt hatte, erschöpfte mich zunehmend und ich fühlte mich am Abend eines Arbeitstages, als hätte ich den ganzen Tag Blut gespendet.

Der Provokative Stil hingegen verleiht sowohl dem Anwender als auch seinem “Opfer” neue Energien. Die Grundelemente dieser Vorgehensweise, die sich in vielen Bereichen – auch außerhalb des therapeutischen Umfeldes – praktizieren lässt, sind Humor und Herausforderung. Humor macht frei und Herausforderung setzt in Bewegung.

Das bevorzugte Einsatzgebiet des Provokativen Stils sind Situationen, in denen man “schon alles versucht hat”. Man hat Lob, finanzielle Anreize und Strafe eingesetzt oder es mit gutem Zureden versucht, aber nichts hat geholfen. Der andere will einfach nicht einsehen, dass er sein Denken und Verhalten ändern muss, um seine Kräfte effektiver einzusetzen und der gestellten Aufgabe besser gerecht zu werden.

Wenn Sie provokativ motivieren wollen, kommen Sie allerdings nicht darum herum, sich ein paar Gedanken über das Seelenleben des Anderen zu machen: Was ist ihm wichtig? Welche Ziele hat er sich gesetzt? Wofür interessiert er sich? Worauf ist er stolz? Und genauso: Wo liegen die Hindernisse für die Entfaltung seiner Fähigkeiten? Was traut er sich nicht zu?

Diese Überlegungen sind Führungskräften suspekt, die sich außerhalb der sachlichen Inhaltsebene von Problemen unwohl fühlen. Sie sollten bedenken, dass Menschen das wertvollste Potential jeder Firma sind, denn deren Produktivität hängt von den Menschen ab, die in ihr arbeiten. Menschen sind aber keine programmierbaren Maschinen, die einen Sachpunkt nach dem anderen abhaken. Sie haben Stärken und Schwächen, und die müssen im geschäftlichen Alltag berücksichtigt werden, wenn Sie nicht zum heimlichen Produktivitätsleck werden sollen. Auch Denkblockaden sind Schwächen, die die Effektivität und Produktivität einschränken und häufig zu Demotivierung führen, weil der Spaß an der Arbeit verlorengeht. Denkblockaden sind eine Art geistiger Sackgasse, und sie führen unweigerlich auch zu Verhaltensblockaden. Wenn ich nur in eine Richtung denken kann, kann ich auch nur in einer Weise handeln.

Ein Beispiel: Herr Müller hat Probleme mit einer Kollegin. Nach einiger Zeit verfestigt sich in ihm die Vorstellung, dass man mit mit dieser Frau nicht logisch argumentieren kann und bald kommt er zu dem Ergebnis, dass Frauen als Kollegen eigentlich überhaupt nicht erträglich sind, nach dem Motto: “Alle Frauen sind emotionsgeschüttelte Nervensägen”. Das ist eine Denkblockade (auch wenn Sie, verehrter Leser, gerade an Ihrem Arbeitsplatz zu demselben Ergebnis gekommen sind – aus guten Gründen, wie Sie meinen). Die Verhaltensblockade besteht darin, dass Herr Müller nun jedesmal, wenn eine Frau in seinem Arbeitsumeld auftaucht, erst einmal die Haare stellt und sich ausgesprochen reserviert zeigt. Ideen und Anregungen von Frauen werden von ihm nicht mehr ernst genommen.

Denk-und Verhaltensblockaden können als Verallgemeinerungen bezüglich ganzer Personengruppen auftauchen (“alle Frauen sind…”), oder bezüglich einer Person, in Teams zum Beispiel, wo Mayer den Schulze unerträglich findet und jede Äußerung von seiner Seite sofort in Bausch und Bogen abschmettert, auch wenn sie brauchbare Elemente enthält (“alles was von Schulze kommt ist ….”).

Im Provokativen Stil richten wir unser Augenmerk auf die Fähigkeiten, die einer hat, analysieren die Blockaden, die er sich in den Weg legt und damit seinen Spaß an der Arbeit und mögliche Höchstleistungen sabotiert, und packen ihn dann gewissermaßen bei seiner Ehre. Unser Ziel ist es, diese selbstgesetzten Blockaden zu überwinden und dem anderen zu helfen, sein Potential voll zu entfalten. Man könnte auch sagen: Seine innere Motivation auf Hochtouren zu bringen.

Wir – das kann als (wohlwollender) Außenstehender ein Freund, ein Coach, ein Kollege oder der Chef sein – karikieren also humorvoll die Wachstumsbremsen, die der andere bei sich eingebaut hat, und machen uns über seine ausufernden Befürchtungen und Ängste lustig, bis auch der Betroffene darüber lachen kann. Durch das Lachen über sich selbst bekommt er Distanz zu seinem Problem und entwickelt eine neue Offenheit. Das heißt, wir lachen den anderen nicht aus, sondern lachen gemeinsam über Absurditäten in seinem Verhalten und über seine selbstschädigenden Tendenzen. Jeder, der in der Lage ist, seinen eigenen Standpunkt zu relativieren und über sich selbst zu lachen, hat ein Stück Freiraum gewonnen.

Die Herausforderung besteht darin, dass wir ihn an den Punkten packen, auf die er stolz ist, und ihm Unfähigkeit und/oder Faulheit im Übermaß unterstellen, um ihn in Bewegung zu setzen. Unter Umständen empfehlen wir genau das Gegenteil von dem, was eigentlich erwünscht wäre. Wir reden ihm eben nicht gut zu, sondern raten ihm vielleicht sogar vehement ab, eine Aufgabe in Angriff zu nehmen, weil sie seine Kapazität deutlich übersteigen würde. Das reizt seinen Widerstand in die richtige Richtung.

Das geht nur dann gut, wenn wir von den grundlegenden Fähigkeiten des anderen überzeugt sind. Einen Blinden kann man nicht zum Sehen bringen, indem man sich darüber lustig macht, dass er zum Gehen einen weißen Stock benutzt. Aber bei jemandem, der sich eine schwarze Binde um die Augen gebunden hat, weil er Angst hat, die Augen aufzumachen, funktioniert das ausgezeichnet.

Ein Beispiel:Ein Lieblingsspiel vieler Mitarbeiter ist die Sündenbocktechnik: “Ich kann das und das nicht tun, weil die da oben mir die Hände binden” (oder wahlweise: “die da unten unfähig sind”). Diese Einstellung verhindert gekonnt, Lücken zu finden, in denen Eigeninitiative zur Entfaltung kommen könnte. Feigheit und Faulheit lassen sich wunderbar damit tarnen. Wenn ich einen Mitarbeiter im Provokativen Stil coache, begeistere ich mich für seine Einstellung und sein Verhalten. Ich sage zum Beispiel: “Sie sagen es! Sie haben wirklich null Verhaltensspielraum, von der Möglichkeit zu eigenen Denkansätzen ganz zu schweigen!” (Hier kommt meist schon der erste Protest). “Eigentlich geht es Ihnen nicht besser als einem Galeerensklaven!” (Protest). “Das ist eben der Preis dafür, dass Sie für nichts den Kopf hinhalten wollen, äh… können. Aber Eigeninitiative ist für Sie viel zu gefährlich. Das übernehmen andere Leute, die schrecklich leichtsinnig und überaktiv sind, grässliche Typen! Natürlich haben die mehr Spaß an der Arbeit, aber der Preis dafür ist für Sie mit Ihrem Sicherheitsdenken einfach zu hoch.” (Protest). Usw.

Wie das Beispiel verdeutlicht, kann man im Provokativen Stil ohne oberlehrerhaftes Moralisieren den Finger auf die Wunde legen, das heißt sehr elegant die Vorteile ansprechen, die sich der andere durch sein selbstschädigendes Verhalten verschafft. Damit gewinnt er die Freiheit, neu zu entscheiden, ob er bei seiner Arbeit weiterhin lieber mit einem öden, frustrierenden Einerlei auf Nummer sicher gehen oder sich neue Spannungsmomente und Herausforderungen schaffen will.

Ist das alles nicht nackte, kalte, unmenschliche Manipulation? Ja und nein. Wenn Sie den Provokativen Stil einsetzten, um einen anderen gegen seine Neigungen und Fähigkeiten und gegen seinen Willen dazu zu bringen, etwas zu tun, was nicht für ihn, sondern nur für Sie selber gut ist, nenne ich es Manipulation. Wenn Sie aber den anderen veranlassen, sich mehr zuzutrauen, seine Fähigkeiten besser zu nutzen und neue (Lern-) Erfahrungen zu machen und damit sowohl Ihre eigenen, als auch seine Bedürfnisse besser zu befriedigen (eine klassische “win-win”-Situation), nenne ich es Motivation. Es liegt im Charakter des Anwenders, ob er den Provokativen Stil als Waffe oder als effektives Hilfsmittel einsetzt. Empfehlenswert ist er deshalb nur für Menschen, die anderen wohlgesonnen sind, Humor haben und sich selbst nicht für den Nabel der Welt halten. Ohne den Blick über den eigenen Tellerrand wird es nicht gelingen, in anderen Menschen positive Kräfte zu entfalten.